Eine Frau in Berlin von Marta Hillers : Zusammenfassung, Kritik
Wenn wir dieses Zeugnis lesen, denken wir an Ingrid Brunsteins, die schrieb: "Das Zusammenleben zweier Katastrophen, von denen die eine die Ursache der anderen war, neutralisiert keines von beiden". Eine Frau in Berlin erscheint als eine verbotene Erzählung. Ein Stein ins Wasser. Nach dem Krieg und der Eröffnung der Konzentrationslager entdeckte Europa den Horror. Posttraumatischer Schock. Wir schämen uns, wir wollen vergessen. Deutschland wird zur Persona non grata. Kein Wunder also, dass die erste Veröffentlichung 1957 gescheitert ist. Vor allem wollen wir nichts von Deutschland hören.
Dieses Buch vermittelt uns die Geschichte auf eine Weise, die wir noch nie zuvor gelesen haben. Wir entdecken ein Volk, das sich selbst überlassen ist und nach der Ankunft der sowjetischen Truppen gezwungen ist, abzutreten. Bomben, ausgebrannte Häuser, provisorische Krankenhäuser, Vergewaltigungen, Raubüberfälle, Tauschhandel, Bestattungen. Der Mangel an Wasser, Milch, Gas, Lächeln. Der Mangel an allem.
Eine Frau in Berlin ist nicht nur ein Kriegstagebuch, es ist ein Schrei. Der Schrei eines Volkes, das die Welt wissen lassen will, dass es da war und dass es gelitten hat. Sicherlich anders, aber er hat gelitten. Und auch die Katastrophe darf nicht vergessen werden.
"Seltsame Zeit. Wir leben die Geschichte hautnah, Dinge, die wir später erzählen und singen werden. Aber wenn man drin ist, ist das alles eine Last und eine Qual. Die Geschichte ist schwer zu ertragen."
Berlin, Sommer 1945. Das Radio sendet nicht mehr, das Telefon funktioniert nur, wenn es will. Die Nachrichten kommen nur durch Mundpropaganda. Wir lernen die Autorin kennen, deren Identität wir nie kennen werden. Eine 30-jährige Frau, ehemalige Mitarbeiterin eines Verlages. Sie schreibt ihr Zeugnis in Schulheften bei Kerzenlicht oder mit zitternden und kalten Händen. Was auch immer passiert, das Schreiben wird zur Pflicht, zur Mission. Berlin wird zur Frontlinie dieses Kampfes gegen den Tod, um das Überleben. Aber was für einen Kampf! Durch die Geschichte unserer Autorin wird Berlin immer härter. Sie wacht um 7 Uhr morgens auf, zögert nicht, die Geschäfte zu plündern, auch wenn es bedeutet, sich die Lippen zu schneiden, nachdem sie eine gute Flasche Wein aus dem Hals getrunken hat. Berlin kämpft. Dann die Rote Armee. Ihre Kühe, ihre Panzer und ihre Soldaten, die die Stadt erobern. Berlin wird russisch.
Im Buch Eine Frau in Berlin steht die Frau im Mittelpunkt. Im Dritten Reich war sie zweitrangig. Sie symbolisiert die gute Mutter einer Familie, die warme Mahlzeit zu Hause, die Ausbildung der Kinder. Zu keinem Zeitpunkt gibt diese Frau ihre Meinung zur Politik des Landes ab. Eva Braun führt ein friedliches Leben im Berghof, weit weg vom Chaos Berlins. Magda Goebbels posiert als größte Mutter des Reiches und porträtiert Deutschland als Mutterland. Im NS-System wird die Reduzierung des weiblichen Geschlechts bewusst und effektiv durchgeführt.
Doch 1945 in Berlin verließ das Mutterland seine Kinder. Der Vater wurde Russe und hieß Andrei, Aleksei, Iacha, Petka. Die jüngsten Frauen verstecken sich, um ihre Jungfräulichkeit zu bewahren. Sexuelle Sklaverei wird zu einem Verhandlungsgegenstand. Frauen sind verschmutzt und die Macht bleibt still. Das Schrecklichste ist nicht die Kälte, mit der die Autorin die Ereignisse aufzeichnet, sondern die Grausamkeit der Geschichte, die die Geschichte eisig macht. Und schließlich, durch die Aneignung der Berliner Frauen durch den Feind, erleben wir die Aufgabe eines ganzen Volkes an seine politische Macht. Zur Desillusionierung.
"Ich bin völlig deprimiert. Wir wurden unserer Rechte beraubt, wir wurden Beute, Scheiße. Unsere Wut ergießt sich auf Adolf." [...] Kriminelle und Abenteurer sind unsere Führer geworden, und wir sind ihnen wie Schafe zum Schlachthof gefolgt."
Dann geht plötzlich die Sonne auf. Eine Fahrradtour. Berlin ergibt sich. Der Wiederaufbau beginnt. Wir waschen die Laken, reinigen die Böden, heilen die Wunden. Wir trauern um die Toten. Wir suchen nach Vergebung. Seins, ihres. Wann endete dieser Wiederaufbau? Vielleicht 2003 bei der zweiten Ausgabe des Buches in einem Deutschland, das sich selbst vergeben hat. Anonym ist der Autor nicht mehr wirklich. Ein Redakteur der Süddeutschen Zeitung, Jens BIsky, hat die Identität der jungen Berlinerin enthüllt: Ihr Name war Marta Hillers, sie war dreißig Jahre alt und Journalistin.
Laura Darmon
Autorin
Laura hat eine Leidenschaft für die Literatur und schreibt regelmäßig für Berlin Poche. Sie arbeitet als Juristin in einem Verlag.